Leise Regentropfen klopfen an mein Fenster und ich betrachte die kleinen Rinnsale die sie hinterlassen. Dahinter steigen Nebelfetzen zwischen den schroffen Felsen empor, klares Wasser mit dunkel und geheimnisvoll wirkenden Schlingpflanzen donnert grollend gegen übergroße Gesteinstücke und ein großer Eissturmvogel zieht einsam und majestätisch seine Kreise über dem offenen Meer. Eng windet sich die Straße auf der wir fahren, links der aufragende Fjord, rechts die eisige Flut. Die Gipfel der um ragenden Berge kann man nur erahnen, hüllen sie sich doch in undurchsichtige, weiße Stille. Unwirklich und rau, genauso zeigen sich die Lofoten. Felsige, kaum bewachsene Landschaft, offenes dunkles Meer. Arktischer Wind und dazwischen die ersten Safrangelben auf Stelzen gebauten Fischerhäuser aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Lautes Möwengekreische aus den unzähligen an den engsten Stellen platzierten Nestern der gefiederten Inselbewohner. Noch bevor wir die raue Schönheit richtig begreifen können, erreicht schon ein anderer Reiz unsere Nase. Aufdrängende, reichlich angereicherte salzige Briesen die nach einer Vielzahl verwesender Fische duften. Als wir um die nächste Kurve biegen, muss ich meine Vorahnung korrigieren: Briesen die nach einer Vielzahl verwesender Fischköpfe duften. Tatsächlich hängen an verblichenen Holzgerüsten unzählige auf Leinen aufgefädelte Fischköpfe. Vom Rest des Körpers und ebenso der Zunge der einstigen Lebewesen fehlt jede Spur. Wir steigen mit bemützten Köpfen und in dicke Jacken gewickelt in die Kälte hinaus, das abgelegene Dörfchen erkunden wollend. Kleine Gassen führen zwischen den wild aneinander gebauten Hütten hindurch. Wir entdecken noch mehr Fischköpfe. Groß und Klein hängen sie an Schnüren vor den Häusern, über Stegen und an Eingangstüren. Baumeln, wie zur Abschreckung, mit aufgerissenen Mündern von Wind und Wetter mumifiziert.
Über eine kleine Treppe und durch aufgebrachtes Möwengeschrei hindurch, erreicht man den Krämerladen des Dorfes. Als wir über die Schwelle treten scheint es, als ob wir um fast 100 Jahre zurück versetzt worden wären. Rostige Blechschilder preisen längst verkaufte Waren an, es gibt alte Waagen und unzählige Dinge aus vergangen Zeiten. In kleinen Packungen werden Trockenfleisch Streifen aus Rentierherz und Walfleisch angeboten. Handgesponnene Schurwolle und echte Norwegerpullover um der Kälte zu trotzen gleich neben geschnitzten Holzlöffeln und Bechern. Und natürlich allerlei Formen des getrockneten Fisches, den man in der Landessprach ‚Skrei’ nennt. Das bedeutet soviel wie ‚Wanderer’ und rührt von der langen Reise die der Kabeljau unternimmt um seinen Laichplatz auf den Lofoten zu erreichen. Das tut er schon seit über 1000 Jahren und genauso lange gibt es die Fischerdörfer der Lofoten, dessen einzige Einnahmequelle die Verwertung dieses Fisches ist. Bis heute wird der Skrei traditionell gefangen und einzigartig weiterverarbeitet. Gleich nach dem Fang werden die Köpfe abgetrennt und wie bereits berichtet auf Kordeln aufgefädelt, während die Körper paarweise, an den Schwänzen zusammengebunden ebenfalls über lange Holzlatten gehängt werden. Der Trocknungsprozess entzieht dem Kabeljau rund 80 Prozent Wasser, jedoch keine Nährstoffe. Und genau das ist das Geheimnis, mit dem er seit dem 12. Jahrhundert weltweit zahlreiche Abnehmer findet. Der Nährwert eines Kilograms Stockfisch entspricht dem von fünf Kilogramm Frischfisch. Dazu ist er Jahrelang haltbar und war somit wesentlich an der europaweiten Hanse beteiligt.
Doch was passiert mit den Fischköpfen? Es scheint eine Zierde, gleich wie ein Brauchtum zu sein, die starr blickenden Dinger vor der Eingangstür hängen zu haben. Aber so viele? Die Antwort die wir erhalten, sprengt jegliches Vorstellungsvermögen. Jedes Jahr im Mai kommen farblich stark pigmentierte Männer aus einem weitentferntem Kontinent, um für umgerechnet 20 Cent pro Kopf, große Mengen abzunehmen. Nigeria, im heißen Afrika, ist seit Anfang an alleiniger Käufer der getrockneten Köpfe. Sie hätten keine so gute Proteinquelle und würden den Geschmack in ihrer traditionelle Fischsuppe lieben. Warum sie nur den Kopf und nicht den ganzen Fisch kaufen, bleibt bis heute schleierhaft.
Zuletzt bleibt nur noch zu klären, was mit den Zungen der Fische passiert…
Dass wir wirklich im Hohen Norden angekommen sind, bemerken wir spätestens, als wir erfahren, dass es seit je her die Aufgabe der kleinen Kinder auf den Lofoten ist, die Verwertung dieses Organs voranzutreiben. Schon mit acht Jahren, kommen sie nach der Schule in öligen Latzhosen und mit einem Messer bewaffnet in die kleinen Hallen der Fischereien. Dort stehen sie vor den großen Behältern und greifen beherzt in die bereits abgeschnittenen Fischköpfe, drücken den Kiefer zusammen und schneiden routiniert den drei Zentimeter langen Muskel heraus. Zehn bis fünfzehn Kilo schafft mancher in einer Stunde. Danach erfolgt der Verkauf. Abnehmer sind Fischfabriken oder private Restaurants, die zwischen 3,50 und 5 Euro pro Kilo zahlen. Eine Möglichkeit sein Taschengeld aufzubessern, von der wir noch nie zuvor etwas gehört haben und der ich äußersten Respekt zolle.
Des Häufigeren überlegen wir dieses einzigartige Fischprodukt einmal zu kosten, sind allerdings genügend von der geschwängerten Luft um uns herum bedient. Dave meint er hätte einmal Lust für mehrere Monate auf einem Fischkutter zu arbeiten. Ich kann mir das zwar weniger vorstellen, muss mir jedoch schmunzelnd gestehen, dass er in einem gelben Anzug wahrscheinlich eine sehr gute Figur machen würde…
Joe
25. Juli 2018 — 13:00
Hallo ihr beiden Entdecker!
Durch eure sehr informative Beschreibung habe ich wieder einmal viel gelernt. Diese Details bekommt man sonst nirgends mit. Schön, dass ihr euch die Mühe gebt, alles zu erkunden und auch noch historisch abzurunden.
Eure Reisen werden eure Allgemeinbildung ungemein erweitern.
Nun liegt schon die erste Hälfte eurer Reise hinter euch und eurer Bussi trägt euch treu.
Weiter so! Ich freue mich jetzt schon auf den nächten Eintrag.
Liebe Grüße
Christa Berlin
28. Juli 2018 — 14:22
Hallo Ihr Zwei,
also….. Safrangelb und Blutrot: Wirklich brillant geschrieben! Eine sehr facettenreiche gedruckte Sinfonie von Landschafts- bzw. Küstenvisualisierung, von menschlicher Besiedlung, Lebensbedingungen, Ökologie, historischer Entwicklung der Menschen vor Ort – um nur einiges zu nennen! Vielleicht habt Ihr sogar die Chance für das eine oder andere Wort der Verständigung, um nicht zu sagen: Interview….. es ist ja auch ein interessantes Psychogramm der Fischer zu vermuten – genauso die Frage, welche Art von Musik sie in ihrer Freizeit machen oder pflegen (?)
Das Beste von allem ist, dass Ihr Beide die weite Reise auf Euch genommen habt, um Land und Leute kennen zu lernen und einen Querschnitt von Informationen aufzunehmen! Aus meiner Sicht ist das die beste Voraussetzung für ein realistisches aber auch verständnisvolles Stück Weltbild, Respekt und Akzeptanz der Lebensbedingungen.
Zum Schluss fällt mir ein, dass ich hier anspreche, was Ihr doch längst in Eurem Bewusstsein habt….. die Frage nach Erziehung und Bildung der dortigen Kinder habe ich deshalb gestrichen.
Herzliche Grüße aus Berlin bei 34 Grad ……
Christa Berlin
28. Juli 2018 — 15:05
Hallo David,
Du siehst in Deinem Fischer-Outfit mit dem Riesenfisch einfach super aus!!!
Anpassungsfähig wie ein Chamäleon (kann sich durch Wechsel seiner Farbe
perfekt an eine neue Umgebung anpassen!) Und diese Eigenschaft macht sicher nicht vor Deinem Bewusstsein halt!
Danke auch an dieser Stelle für die fantastischen Fotos, die soviel visualisieren, was man sich nicht so einfach vorstellen kann…….
Übrigens: Visualisiertes (also was man sieht) kann man sich leichter merken als Gehörtes. Gehörtes (z. B. aus Vorträgen) wird bis zu 80 % vergessen. Das ist u. a. sehr interessant für frontal vorgetragene Reiseberichte…..
Frage: Habt Ihr eigentlich am 27. 7. etwas von der Jahrhundert-Mondfinsternis
(Blutmond über ca. 100 Minuten) mitbekommen?
Herzliche Grüße aus Berlin