Ja, wir befinden uns immer noch auf der Straße. Mit dem Kanu auf dem Dach, den Essensvorräten unter dem Bett und dem großen Wasserkanister zwischen den Füßen, bezwingen wir Serpentinen, blicken in Täler und lassen uns vom Westwind nicht verbiegen. Heute haben wir es geschafft, Jennys lang gehegtem Wunsch, ein Besuch in der Cathedral Cave, stattzugeben. Zwei Tage haben wir vor der ominösen Auffahrt im Wald gewartet, staunend dass jeden Tag andere ‚Öffnungszeiten’ dran standen. Und dann war die Schranke plötzlich offen und wir brausten das Stück Land hoch. Kamen auf einem Parkplatz an und fanden uns erneut vor verschlossenen Toren wieder. Dabei war es gerade mal acht Uhr morgens, nicht mal deutsche Pünktlichkeit schien zu helfen! Resignierte Blicke wurden ausgetauscht, Füße scharrten im Kies, Ratlosigkeit machte sich breit. Dann schwang die Tür der einzigen Hütte auf dem Gelände auf und eine leicht untersetzte, Adrenalin gepeinigte Frau trat auf die niedrige Stufe und trommelte mit kreischender Stimme sämtliche Personen auf dem Parkplatz zusammen. Kaum zu Atem kommend erörtere sie die Lage, uns alle abfragend ob wir auch verstanden hätten, wie auf einem Kasernenhof. Die neu erlangten Informationen hörten sich nicht gerade beruhigend an: Das Meer sei heute ausgesprochen wild, wir alle würden mit Sicherheit nass werden und wahrscheinlich wäre es gar nicht möglich bis ins Innere der Höhle zu gelangen. Sie selbst sei stehen geblieben, als das Wasser ihr bis zu den Knie ging. Aber in fünf Minuten könne alles anders sein, man wisse nie so genau. Wer das Naturerlebnis trotzdem genießen wolle, dürfe jetzt fünf Dollar pro Person zahlen. Niemand traute sich einen Ton zu sagen, stumm wurden die ersten Noten in ihre Hand gelegt. Um ehrlich zu sein, hatte ich an diesem kalten, regnerischen Morgen überhaupt keine Lust durch eine von Wellen durchsetzte Höhle ins Dunkle zu schwimmen. Ok, nicht mal bei Sonnenschein würde ich diese Aktion lieben. Aber ich sah Jennys Gesicht und wusste, da müssen wir jetzt durch. Niemals würde sie sich trauen uns zu überreden und außerdem waren wir eine Gruppe. Wohl an, zwanzig Dollar in die ausgestreckte Hand und schon marschierten wir los. Keiner von uns war auch nur im Ansatz irgendwie ausgestattet und als wir den uralten von Farnen über und über bedeckten Wald verlassen und am Strand angekommen waren, wurde uns das allen schmerzlich bewusst. Donnernd rollten die Wellen an die Küste und jedem war klar: ‚trockenen Fußes’ ist hier nicht. Dabei sah das auf den Google Bildern doch so schön aus. Einmal reinspazieren, die enorme Größe der Höhle bewundern, um eine Kurve biegen und zum anderen Ende wieder hinaus. Inzwischen die Schuhe und Socken in der Hand, standen wir also zögerlich vor dem Eingang und beobachteten die ersten Waghalsigen. Das Meer darf man nie unterschätzen und erst Recht nicht die Abstände zwischen den Wellen. Das habe ich beim Surfen schon mehr als einmal zu spüren bekommen und lasse nun Vorsicht walten. Und wie vorausgesagt, verschwendeten andere Besucher keinen Blick über die Schulter und wurden wenige Sekunden, gerade noch auf feuchtem Sand stehend, buchstäblich kalt erwischt. Bis zum Bauchnabel standen sie in den Fluten und kieksten mit entsetzten Gesichtern. Eine Generation Smartphones weniger.
Reichliches Überlegen, rasches Abzählen und ein: „Los, los, los!“ und wir liefen in das Maul der Dunkelheit hinein. Blieben im Knick auf einigen Felsen stehen und rannten wieder hinaus. Zeit für Fotos? Keine Chance. Lachend und mit einer glücklichen Jenny rannten wir über den Strand und waren spätestens jetzt alle hellwach. Der Tag konnte also beginnen.
So früh auf den Beinen waren wir nicht gewohnt, also gleich noch ein paar Kilometer schreiben, zufällig über die aller seltensten Pinguine stolpern und schließlich an einem Ort ankommen, auf den ich schon ganz lange gewartet habe. Eigentlich gibt es dort nichts zu sehen. Nichts von Menschenhand Erschaffenes und auch kein Naturspektakel. Manche würden es als trostloses Ödland mit viel zu viel Wind bezeichnen. Und doch, kann ich es kaum erwarten bis ich über die karge Wiese mit den einzelnen Grasbüscheln gelaufen bin und endlich am Rand der Klippen stehe. Es ist der südlichste Punkt aller Länder. Der weit entfernteste Punkt unserer Reise, der Anfang vom Nichts, an dessen Ende nur noch die Antarktis wartet. Vor mir liegen nur noch exakte 4803 Kilometer Wasser bis zum ewigen Eis, im Rücken satte 5140 Kilometer bis zum Äquator. Sicher- geographisch gesehen, liegen immer noch ein paar Inseln näher dran, doch dieses Fleckchen Erde ist von allen Festländern am weitesten unten, zu mindestens sagt dies unsere Karte.

Der sagenumwobene ‚yellow-eyed penguin‘. Sehr lustig, da das einsame Pinguinpärchen schläft und die Augen zu hat… Naja, die gelben Augen denken wir uns einfach dazu…
Und nun bin ich angekommen, an dem Punkt der von Deutschland ferner nicht sein könnte. Der Wind zerzaust meine Haare, zerrt an meiner Jacke und fragt mich: Und? Wohin willst du nun gehen? Noch weiter weg kannst du nicht mehr…
Und da weiß ich, dass dies der Höhepunkt unserer ganzen Weltreise ist. Ein Stückchen Küste, nach dem nichts mehr kommt. Ein Gefühl des Angekommen seins, eine Ende des Weglaufens. Der Beginn von etwas Neuem. Wann ich wieder Deutschen Boden betreten werden? Ich weiß es nicht – doch von nun an befinde ich mich auf dem Rückweg.

Haa, da hat einer doch die Augen geöffnet! Dachte wohl keiner schaut, aber weit gefehlt, denn auf diesen historischen Augenblick habe ich nur gewartet. Und tatsächlich! Die Augen gelb wie schnee..
Heinz und Nele
27. Februar 2017 — 10:41
Wieder mal: WOW!
Unter „südlich“ stellen wir uns ja hier in Old Europe was anderes vor: mehr warm und freundlich – und von München aus etwa 500 km entfernt. Das hört sich jetzt nach Eurem Bericht jetzt a bisserl sehr provinziell an, gell?
Und dann Eure Entfernungsangaben: Hamburg ist von München aus gesehen ja schon weit weg – aber 5000 km bis zum Äquator?! Das geht gar nicht!
Außerdem steht ihr da unten ja den ganzen Tag auf dem Kopf, denn oben ist ja wohl Europa und der Nordpol. Ist das nicht anstrengend?
Ein Glück, das ihr ab jetzt „auf der Rückreise“ seid, oder was Ihr darunter versteht. Wir hier machen es uns provinziell gemütlich. Freuen uns auf langsam steigende März-Temperaturen und den FRÜHLING IN BAVARIA.
David & Clara
2. März 2017 — 7:36
Lieber Heinz, liebe Nele! Jeder eurer Kommentare ist so herrlich erfrischend. Wir lesen sie immer gerne und freuen uns bereits auf Neue! Ja- anhand dieser Angaben merkt man wie weit wir eigentlich weg sind. Und auf dem Kopf stehen? Kommt ganz darauf an aus welcher Perspektive man den Erdball ansieht 😀
Liebste Grüße in den Frühling nach München!
Oma Berlin
27. Februar 2017 — 11:45
Ihr Lieben, aus Berlin – der Stadt der Freiheit – wie sie wohl weltweit genannt wird, natürlich einen anerkennenden Gruss an den südlichsten Punkt aller Länder mit Umarmung für Eure zurückgelegte Reisewegstrecke und Glückwunsch für den einen oder anderen Abwurf von „Altlasten“…. Wünsche Euch nun eine gelingende Planung und Durchführung des allmählichen Rückweges, der nicht minder interessant aber wahrscheinlich entspannter (?) sein wird. Nach Eurer Leistung vielleicht etwa regenerierender Urlaub, oder? Wie auch immer – viel Glück und Gottes Segen! Wir zu Hause freuen und auf den Frühling und machen Hausputz….. Oma Berlin
David & Clara
2. März 2017 — 7:38
Liebe Mutti! Danke dir! An das tägliche Trinkwasser suche, Essen aufbereiten und Wind und Wetter trotzen haben wir uns eigentlich schon gewöhnt und fühlen uns wie im Urlaub! Noch nicht ganz vergessen sind die Strapazen eines alltäglichen Schichtdienstes! Wir wünschen dir einen herrlichen Frühlingsanfang in Berlin 🙂
muk
27. Februar 2017 — 20:13
Sehr nice! Danke für Text und Bilder! Die zwei Landschaften gefallen mir persönlich am besten…und der Pinguin…
David & Clara
2. März 2017 — 7:38
🙂 😀
Dorothea
27. Februar 2017 — 20:41
Hallo ihr zwei,
schön, wieder von euch und euren Abenteuern zu lesen und eure so tollen Bilder zu genießen. Nach diesem dichten Wald in die unendlichen Weiten … unglaublich, was es auf unserer Erde alles an Naturschönheiten gibt … und ihr dürft sie live erleben. Gestern habe ich mit Esther laaange 🙂 telefoniert (war sehr, sehr nett!!!) und habe erfahren, dass ihr noch eine Weile auf eurem Weg sein werdet, eigentlich schon auf eurem Rückweg. Das ist schön! Passt auf euch auf, mit Gottes Hilfe möge es euch immer gut gehen!
Bin schon gespannt auf neue Reiseberichte und Bilder! Viiiel GLÜCK euch beiden, Umarmung und liebe Grüße in die Ferne …
Dorothea
David & Clara
2. März 2017 — 7:41
Liebe Dorothea,
danke für deinen lieben Worte! Ja, Neuseeland hat wirklich alles zu bieten. Von Gletschern angrenzend an das Meer, Regenwäldern und weiten Grassteppen. Ein Eldorado für das Auge! Auch wir wünschen dir einen ganz wunderbaren Frühlingsanfang in Europa und Glück in allen Unterfangen!
herzlichstes Grüße 🙂
Isa
28. Februar 2017 — 11:03
Wieder einmal sehr beeindruckende Fotos und ein sehr schöner, ehrlicher Bericht …ich wußte gar nicht, dass es so ein konkretes, punkgenaues Ziel für eure Reise gab und freue mich nun zu erfahren, dass ihr euch „schon“ auf der Rückreise befindet.
Für mich sind die letzten 10 Monate insgesamt doch erstaunlich schnell vergangen, wesentlich dazu hat auch euer wunderbarer blog beigetragen,
der die Wartezeit kurzweilig macht und auch immer wieder zeigt,
dass es euch im Prinzip gut geht.
Johannes und Jenny sind gestern gut wieder zu Hause angekommen,
nun seid ihr wieder nur zu zweit unterwegs
oder?
Zwei sind besser dran als ein einzelner…
…und eine DREIFACHE Schnur wird nicht so schnell zerrissen.
Pred. 4:9,12
Übrigens, gelben Schnee sollte man nicht essen.
David & Clara
2. März 2017 — 7:45
Liebe Isa,
ja uns geht es wirklich sehr gut. Es mangelt an Nichts und wir werden von Gott täglich umsorgt! Danke für deine Komplimente- sie erwärme sehr unser Herz und eure Aufmerksamkeit schürt doch ein wenig das Heimweh. Auch die Bibelstelle passt ausgezeichnet!
Deinen Rat werden wir uns zu Herzen nehmen 😀
Eine große Umarmung und die liebsten Frühlingswünsche von Dave und mir 🙂
Marita Lindner
2. März 2017 — 6:55
O, was für ein gewaltiger Sturmwind. Die armen Buschgewächse leben schief! Ja, da unten wart ihr nun und ich hätte euch an den Füssen kitzeln können, weil ihr ja für uns auf dem Kopf steht. Welches Land kommt denn jetzt dran? Ich bin erstaunt, dass eure Finanzen immer noch ausreichen. Das war der unglaublichste Bericht überhaupt, der vom 27. Feb. Und von da konntet ihr uns noch per blog erreichen und wir sind in Kontakt über unvorstellbare Entfernungen hinweg. Unfassbar! Ach, was soll ich sagen – hier wartet eine Omi auf ihre zwei Zwerge.
Ich schreib euch noch einen Vers von meiner Mutti – eure Uromi – geb. 1901:
Es ist ein kleines Wörtchen nur
und gräbt doch eine tiefe Spur
in jede Menschenseele:
Heimat, liebe Heimat.
David & Clara
2. März 2017 — 7:48
Ach Omi, bei deinem Kommentar geht uns das Herz auf! Wir vermissen dich auch sehr und finden den Vers unserer Uromi ganz ausgezeichnet!
Eine virtuelle Umarmung aus der Ferne, deine Zwerge 🙂
Joe
3. März 2017 — 6:47
Hallo ihr Zwei!
Ich wußte auch nicht, dass dieser Punkt (den ich bis dato noch gar nicht kannte) das Ziel eurer Reise ist. Glückwunsch, dass ihr es nach so vielen Strapazen und schönen Erlebnissen erreicht habt. Und die Internet-Konnektivität scheint dort besser als in anderen Teilen Neuseelands zu sein, was ich aus der Anzahl der Posts in diesen Tagen schließe.
So wünche ich euch von Herzen eine sichere und bewahrte Rückreise verbunden mit der Hoffnung, dass der Schock beim Rückeintritt in die deutsche Zivilisation sich in Grenzen hält.
Beste Grüße
David & Clara
4. März 2017 — 3:16
Dankeschön! Ja, die Einträge holen wir gerade alles etwas nach, da hat sich doch einiges angesammelt was noch erzählt und gezeigt werden muss 🙂